Dülmener Rosenapfel

Der Dülmener Rosenapfel

Auf einen leeren Raum
Pflanz‘ einen Baum;
Pflege sein,
Er bringt dir’s ein.

Johannes Metzger, 1856

Die Vorgeschichte

Faksimile Der kleine Obstbaumzüchter, Joh. Metzger, 1856
Eine Anleitung zum Obstbau

Johannes Jäger, seit den 1850er Jahren Lehrer an der Dülmener Volksschule, betrieb eine Obstbaumschule. Das Veredeln von Obstbäumen gehörte zum regulären Unterricht der Jungen. Damit wollen wir beginnen.

Eine groß angelegte Initiative sollte sicherstellen, dass das Veredeln von Obstbäumen zur Sicherung der Lebensmittelversorgung weitere Verbreitung findet. Metzgers ‚Belehrung in der Obstbaumzucht‘ (siehe Titelseite links) ist ein schöner Versuch, mit Hilfe des Protagonisten Karl Will, dem kleinen Obstzüchter, mit der Jugend zu kommunizieren und traditionelles Gärtnerhandwerk zu vermitteln. Vielleicht hat auch Lehrer Jäger dieses für seine Zeit diktatisch erstaunlich moderne Lehrbuch als Unterichtsmaterial verwendet. Zumindest dürfte ihm Bädekers ‚Kurzer und faßlicher Unterricht in der einfachen Obstbaumzucht für die Landjugend‚ von 1820 bekannt gewesen.

Die Anwuchsergebnisse aus den Obstbaumschulen, die seinerzeit an jeder Volksschule entstanden, mussten jährlich an den Bürgermeister gemeldet werden. Neben Äpfeln und Birnen wurden auch Kirschen und selten Walnüsse veredelt. Sortennamen sind nicht überliefert. Es wurden einfach ‚gute Sorten‘ aus dem Küchengarten genommen, die üblicherweise zum Kochen, Backen und Einmachen verwendet wurden.

Nach alter Überlieferung hat jener Johannes Jäger den Dülmener Rosenapfel gezüchtet.
Schauen wir uns zunächst das Ergebnis dieser Züchtung an.

Ein Herbstapfel

Der Dülmener Rosenapfel reift ab Mitte September und gehört deshalb zu den Herbstäpfeln. Zwar wird der genaue Reifezeitpunkt und damit auch Erntezeit von vielen Faktoren beeinflusst, aber grundsätzlich unterscheidet man zwischen Sommer-, Herbst- und Winterapfel.
Sommeräpfel wie der Weiße Klarapfel und Weißer Astrachan sind bereits im Juli reif, lassen sich aber nicht lange lagern und eignen sich deshalb zum sofortigen Verzehr.
Herbstäpfel wie Gravensteiner, Kasseler Renette und Dülmener Rosenapfel reifen im September und Oktober. Weil sie länger Sonne hatten, haben Sie nicht nur ein stärkeres Aroma, sondern auch eine höhere Konzentration an Inhaltsstoffen. Einige Herbstsorten lassen sich lagern, andere nicht. Der Dülmener Rosenapfel wird nach vier bis sechs Wochen mehlig und sollte deshalb bis Dezember gegessen oder verarbeitet werden.
Zu den Winteräpfel zählen die Ananasrenette und der Rote Boskoop. Sie reifen ab Ende Oktober, erreichen ihr volles Aroma aber erst im Dezember. Winteräpfel sind bei frostfreier Lagerung bis zum Frühjahr verwendbar.

kurz vor der Ernte

Die Entstehung

Die Sorte ist vor 1870 in Dülmen entstanden. Es sind verschiedene Namen überliefert: Dülmener Herbstrosenapfel, Dülmener Rosenapfel, Dülmener Rose und Dülmer Rose. Bei Eduard Lucas und Heinrich Mitzenheim findet man auch Dülmner.
Lange Zeit wurde angenommen, dass sie ein Sämling des Gravensteiner ist. Der andere Elter war unbekannt. Genentische Untersuchungen belegen aber, dass die Eltern Weißer Astrachan und Kasseler Renette sind.

Rechnungsrat Ludwig Bielefeld berichtet in den Dülmener Heimatblättern von 1927, dass die Sorte von regionalen Baumschulen geführt wird. Er nennt drei Betriebe, von denen heute nur noch die Baumschule Sennekamp (Senden) existiert. Die anderen beiden waren die Baumschule Gebr. Hanses (Münster-Hiltrup) und die Baumschule Lackmann (Olfen).

Die Baumschule Sennekamp spielte seinerzeit eine besondere Rolle, da die Verbreitung der Sorten – zumindest im Münsterland – wahrscheinlich von hier ausging.

Der Rosenapfel

Johannes Jäger hat die neue Apfelsorte angeblich nach seiner Frau Rosemarie benannt. Als Lehrer im katholischen Münsterland, im 19ten Jahrhundert, war er eine zentrale Persönlichkeit in seinem sozialen Umfeld – sollte man annehmen.
Hätte er die Sorte deshalb nicht eher Marienapfel genannt?

August Friedrich Adrian Diel (1756-1839), ein Arzt und Obstexperte entwickelte eine Klassifizierung der Apfelsorten, die sich im wesentlichen an der Form der Früchte orientierte.

Karl Friedrich Eduard Lucas (1816-1882) und Johann Georg Conrad Oberdieck (1794-1880) verfeinerten die Dielsche Klassifizierung und es entstanden 15 Kategorien.
Die zweite Kategorie, der Rosenapfel, hat demnach folgende Eigenschaften:

  • Form: verschieden, doch meist auf der oberen Hälfte sanft gerippt,
  • Schale: duftend; fein, zart und glänzend nach Abreiben,
  • Fruchtfleisch: sehr locker, schwammig, dem Druck des Fingers leicht nachgebend. Gewürz fein, oft süßlich, aber nicht beerenartig wie bei den Kalvillen.

Diese Einteilung hat heute nur noch eine untergeordnete Bedeutung, vor allem weil die Formenvielfalt dazu führt, dass viele Sorten in mehrere der Kategorien passen. Durchgesetzt hat sich inzwischen die Einteilung nach Reifezeitpunkten also Sommer-, Herbst- und Winterapfel. Bereits 1876 wurde diese Vereinfachung von Eduar Lange in den Pomologischen Monatsblättern (Band 16, S. 65 ff.) vorgeschlagen.
Vielen Sortennamen beinhalten trotzdem heute noch die Kategorien nach Diel, Lucas und Oberdieck, wie Berner Rosenapfel, Moringer Rosenapfel oder Virginischer Rosenapfel.

Bei einer Obstaustellung in der 1870er Jahren in Greiz (Thüringen), seinerzeit ein wichtiges Zentrum des Obstbaus im Deutschen Reich, trat der Dülmener Rosenapfel erstmals in Erscheinung. Ein Nachweis, wer die Sorte dort vorgestellt hat, fehlt bisher.

Ingenieur Bahnmeister Bröser

Im westfälischen Münsterland scheint der Dülmener Ingenieur Bahnmeister Bröser, Angestellter der Eisenhütte Prinz Rudolf, an der Etablierung des Sortennamens und der regionalen Verbreitung maßgeblich mitgewirkt zu haben. Dieser hatte Kontakt zu dem berühmten Apfelforscher Eduard Lucas, dem Gründer des Pomologischen Instituts in Reutlingen (Baden-Württemberg).

Bahnmeister Bröser schickte ihm im Jahr 1878 Früchte, die Eduard Lucas als ‚wahrscheinlich neuen Sorten‚ und ‚noch nicht beschriebene Sorte‘ untersuchte und ‚obigen Namensvorschlag‚ berücksichtige. Damit war der ‚Dülmner‘ offiziell gefunden.

Später schickte Bahnmeister Bröser auf Nachfrage von Lucas Edelreiser nach Reutlingen. Mit dem Bestandaufbau in der Baumschule des Pomologischen Instituts war der Genpool somit gesichert.

Eduard Lucas hielt die neue Sorte für eine Variante des Braunschweiger Pfundsapfels, stellt als Unterschied aber einen ‚eigenthümlichen aromatischen Duft‘ fest.

Eine neue Sorte entsteht

In den Geisenheimer Mitteilungen von 1911 berichtet der Obstzüchter Heinrich Mitzenheim aus Hildburghausen (Thüringen) – auch mit Bezug auf Lucas und Bröser – über den ‚Dülmner‘.

In den Heimatblättern von 1927 gibt Bielefeld an, dass Ingenieur Bröser weitere Personen kannte, die an der Entwicklung der Apfelsorte beteiligt waren. Leider nennt Rechnungsrat Bielefeld keine Namen und die Durchsicht des Bielefeld’schen sowie Brösers Nachlass lieferten bisher keine Erkenntnisse. Vielleicht waren Heinrich Mitzenheim und Eduard Lucas gemeint.

Die städtische Baumschule

Aus dem Urkataster der Stadt Dülmen von 1825 geht hervor, dass im Bereich der Lustgärten der Stadt, am südöstlichen Wallgraben, eine Baumschule bestand. Wenn man heute von der Halterner Straße in die Vollenstraße abbiegt und der Straße ca. 170 m folgt, lag die Baumschule auf der linken Seite, etwa dort wo jetzt ein Transformator steht. Vielleicht handelt es sich hier um den Standort der Obstbaumschule der Volksschule Dülmen.

Die herzogliche Baumschule

Nach dem Bau des Schlosses an dieser Stelle durch Alfred von Croÿ im Jahre 1834, wurde die Baumschule wahrscheinlich Teil des neuen Schlossparks und später durch den Schulmeister Wald betreut.

Lehrer Wald, der an der Dülmener Volksschule von 1817 bis 1862 (also 45 Jahre lang!) unterrichtete, lehrte scheinbar nicht nur das Handwerk des Veredelns, sondern war auch in der Züchtung aktiv. Auf ihn geht angeblich eine Sorte namens Dülmener Prinzenapfel zurück, von der heute nichts mehr bekannt ist. Jedenfalls ist schriftlich belegt, dass auch Schulmeister Wald die Anwachsergebnisse jedes Jahr an den Bürgermeister meldete.

Vermutlich wegen seines fortgeschrittenen Alters übertrug er die Betreuung der Baumschule auf seinen jüngeren Kollegen Jäger.

Johannes Jäger – Der Vater der Dülmener Rose

blasse Schattenfrüchte

Johannes Jäger, geboren am 20. Januar 1820 in Recklinghausen war 32 Jahre lang Lehrer an der Volksschule in Dülmen.

Auf Betreiben des Lehrers Wald sowie des Herzogs Alfred von Croÿ wurde ein Schulobstgarten auf dem Schlossgrundstück eingerichtet. Dieser fand scheinbar große Beachtung und wurde sogar prämiert.

Als Belohnung für die Prämierung wurde eine Obstanzucht ins Leben gerufen, deren Organisation dem Lehrer Jäger übertragen wurde. Es fand eine intensive Züchtungsarbeit statt, in deren Verlauf auch die Baumschule Sennekamp in Senden einen Beitrag leistete.

Nach seiner Pensionierung zog Jäger nach Hildburghausen in Thüringen, um dort die Züchtung weiter zu betreiben. Der Dülmener Rosenapfel war dort aber vorher schon sehr bekannt.

Johannes Jäger starb im Jahr 1880.

Was nach dem Weggang Jägers mit der Baumschule, dem Schulobstgarten und der Apfelzüchtung in Dülmen geschah, ist nicht bekannt.

Die Baumschule Schmitz-Hübsch

(Quelle: Elmar Schmitz-Hübsch, 2023)

Hans Schmitz-Hübsch verließ in Folge der Besetzung durch die Rote Armee seinen Baumschulbetrieb in Langenweddingen bei Magdeburg. 1948 errichtete er einen neuen Betrieb und die Apfelplantagen am Baumschulenweg, jenseits der Bahnlinie Münster/ Essen. Sein Vater Otto Schmitz-Hübsch (1868-1950) Obstanbauer in Merten bei Bonn, war ein gefeierter Obstbaupionier und Züchter, der die Sorte Roter Boskoop fand. Der Obstbaubetrieb in Merten bei Bonn wird heute in 4. Generation geführt.

Apfelernte in Merten, um 1900

Die Baumschule Schmitz-Hübsch in Dülmen würde man heute als joint-venture bezeichnen. Eigentümer der Ländereien war (und ist heute noch) der Herzog von Croÿ. Schmitz-Hübsch und von Croÿ waren gleichberechtigte Gesellschafter des Produktionsbetriebes, dessen Sortiment vor allem aus Landschaftsgehölzen bestand. Die wurden nach Ende des Zweiten Weltkrieges zur Begrünung des neu entstehenden Straßen- und Autobahnnetzes gebraucht.

Das Ende der Apfelplantagen

Hans Schmitz-Hübschs Sohn Otto führte den Betrieb noch bis Ende der 1970er Jahre weiter und gab dann die Kulturen auf. 1986 übernahmen Norbert und Renate Reckmann den Baumschulbetrieb. Letzte Teile der Apfelplantage wurden Anfang der 1990er Jahre gerodet. Von den Obst-Lagerhallen steht noch eine, die der Baumschule Reckmann bis heute als Wirtschaftsgebäude dient. Das ehemalige Hauptgebäude, dass dem Inhaber der Baumschule Reckmann als Wohnsitz diente, ist im Jahr 2015 einem Neubau gewichen.

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