Der Dülmner Rosenapfel
Hch. Mitzenheim, Hildburghausen in
Geisenheimer Mitt., 26. Jahrgang, Nr. 8, 1911, Seiten 222 – 224
So oft ich noch einen Obstgarten oder eine Obstpflanzung von größerem Umfang besuchte, immer wurde mir während der Besichtigung vom Besitzer die ein oder andere Sorte mit besonderem Stolz gezeigt, wenn sie nicht vorher schon durch besonders kräftigen und schönen Wuchs, tadellose Gesundheit und erwünscht reichen Ertrag meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.
Das sind die Lieblinge des Gartenbesitzers, und ein jeder Gartenfreund hat solche. Als ich vor nunmehr 15 Jahren meinen Obstgarten bepflanzte, verfehlte ich nicht, mir den Rat erfahrener Pomologen einzuholen. Da führte mich Neuling das Glück mit einem hochbetagten, sehr erfahrenen Freund des Obstbaus zusammen, dem Geheimen Finanzrat A. Über 50 Jahre lang hatte er alle Freizeit, die sein Amt ihm ließ, mit seltenem Interesse der Pomologie, seinem ‚Jungbrunnen‘ gewidmet.
Unter wenigen Sorten, die er zur Anpflanzung empfahl, nannte er auch den Dülmner (sic!) Herbst-Rosenapfel, dem er ein ganz besonderes Lob spendete. Heute muss ich nach 15 Jahren in jenes, auf lange Erfahrung begründetes Lob voll und ganz mit einstimmen.
Die Frucht ist groß bis sehr groß, in Form und Farbe dem Gravensteiner ähnlich (Abb.37). Die Breitenachse ist meist größer als die Höhenachse. Bei einer Höhenlage von 400 m über dem Meere erreicht die Frucht einen Umfang von 29 cm. Der geschlossene Kelch liegt ziemlich flach; ebenso ist die Stielhöhle von nur geringer Tiefe und der Stiel meist kurz. Die Schale der Frucht ist in der Baumreihe sattgelb gefärbt, sonnenseitig ein wenig gerötet und nur selten berostet, so dass sie schon am Baum ein äußerst delikates Aussehen hat.
Das gelblich weiße Fleisch ist sehr saftig und von fein gewürztem Geschmack. Nach kurzer Lagerung von 2 bis 3 Wochen tritt die Genussreife ein. Es ist eine Frucht für den Vorwinter, die nicht bis über den Dezember hinaus aufbewahrt werden sollte, da sie dann an Wohlgeschmack verliert. Hat ein Kunde einmal den ‚Dülmner‘ gekostet, dann mag er ihn nie mehr unter seinem Tafelobst missen; es ist eben eine in jeder Hinsicht tadellose Frucht.
Und ebenso ist der Baum. Kräftiger Wuchs und strotzende Gesundheit zeichnen ihn schon in der Baumschule und mehr noch im Garten vor fast allen Sorten aus. Ist er auf Doucin-Unterlage veredelt, so zeigt sich schon bald eine nicht aussetzende Fruchtbarkeit. Im Sommer ist der ‚Dülmner‘ so recht das Bild eines Ideal-Baumes: im Innern der Krone hängt Frucht an Frucht, und außen erfreut uns das Wachstum der jungen Triebe.
Eine nicht hoch genug anzuschlagende Eigenschaft ist die, dass sowohl pflanzliche als auch tierische Feinde ihn geradezu meiden; selbst den Läusen ist er zu robust. Der ‚Dülmner‘ gibt die schönsten Pyramiden; werden solche auf Wildlingsunterlagen gezogen, so geben diese ein Urbild von Kraft und Schönheit. Bei solchen setzt naturgemäß die Fruchtbarkeit etwas später ein, erst mit dem 7. und 8. Jahre, dann aber um so kräftiger.
Dülmner-Halbstämme bilden mit ihrem schönen, breitpyramidalen Wuchs eine Zierde für jeden Garten. Zur Erzielung kräftiger Kronen genügt ein nur mäßiger Rückschnitt 3 bis 4 Jahre hindurch.
Krankheiten kennt man am Dülmner nicht, und er gehört vor allem zu denjenigen Sorten, die vom Fusikladium nicht im geringsten befallen werden.
Alle diese Vorzüge haben dem ‚Dülmner‘ in Thüringen bereits eine weite Verbreitung finden lassen. Zu einer Massenanpflanzung kann man ihn, da er nicht zu den Daueräpfeln gehört, nicht empfehlen; dennoch sollte er in den Obstgärten öfter zu finden sein, denn die Güte und Schönheit seiner Frucht sichern ihm stets einen glatten Absatz.
Über seine ‚Herkunft‘ konnte ich durch Nachforschungen nur soviel ermitteln, dass er noch vor dem Jahre 1870 von dem oben genannten Pomologen, den geheimen Finanzrat A. in Meiningen, von Dr. Ed. Lucas aus Reutlingen bezogen wurde. Der Name ‚Dülmner‘ lässt doch wohl die Stadt Dülmen in Westfalen als seine Heimat erscheinen*1).
Und Mitzenheim schreibt weiter:
Dr. Ed. Lucas berichtet über den Dülmner Rosenapfel in den Pomologischen Monatsheften, Jahrgang 1881, auf Seite 7, wie folgt:
Im Herbst 1878 sandte mir Herr Hafenmeister Broeser in Dülmen einige sehr schöne und gute Äpfel, von denen ich durchaus keine passende Beschreibung finden konnte und damals schon als wahrscheinlich neu, d. h. noch nicht beschrieben bezeichnete und obigen Namen vorschlug. Ich bat mir zu weiterer Beobachtung einige Edelreise aus, die mir auch Herr Broeser freundlichst zuschickte. Anfangs glaubte ich, und auch jetzt wieder, ich habe den bekannten guten Apfel Braunschweigs Tafelrambour vor mir, allein ein genauer Vergleich und der eigentümlich aromatische Duft dieser Frucht ließen erkennen, dass es eine andere Sorte sei, die hier vorliege.
Herr Broeser beschreibt mir: die Bäumchen in meinem Garten sind so beliebt geworden, dass jeder, der die Frucht gesehen und gekostet, auch sie besitzen möchte.
*1)Als Bezugsquelle wurde mir die Paul Bochmann’sche Baumschule in Meinigen mitgeteilt.